Montag, 19. August 2013

Birthmarked: Dystopie (fast) vom feinsten




Endlich hatte ich die Möglichkeit das letzte Buch der Trilogie von Caragh O’Brien zu lesen. Die wunderbare Dystopie spielt einige hundert Jahre in der Zukunft unserer Welt. Doch anstatt vom Weltall, fliegenden Autos und sonstigen unvorstellbaren Erfindungen zu lesen, entdeckt man hier eine Welt, die sich durch die Klimawandlung zurückentwickelt hat. Die Seen und Meere sind ausgetrocknet und nur noch ein paar Tausend Menschen sind übrig und kämpfen um das Überleben.

In den Büchern begleiten wir Gaia, eine 17-jährige angehende Hebamme, auf ihrem Lebensweg. In „Die Stadt der verschwundenen Kinder“ (Birthmarked) lernen wir einiges über ihre Welt kennen. Wir erfahren, was es für Probleme gibt, aber auch welche Geheimnisse verschwiegen werden. Das gesamte Leben und alle Vorstellungen, die Gaia hatte, zerfallen auf einmal, als ihre Eltern verhaftet werden. In „Das Land der verlorenen Träume“ (Prized) ist Gaia auf der Flucht und muss sich plötzlich einem ganz neues Regierungssystem stellen. Dabei wird nicht nur ihre Denkweise auf den Kopf gestellt, sondern auch ihre Gefühlswelt versinkt im Chaos. In „Der Weg der gefallenen Sterne“ (Promised) treffen beide Welten aufeinander und Gaia muss mit ihren neu gewonnenen Erfahrungen viele Menschenleben retten, was ihr nicht so ganz zu gelingen scheint.

Hört sich – vor allem zum Schluss – nach viel Kitsch an? Nun, wenn man das aus den Büchern rausfiltert, vermag das zu stimmen. Aber das Setting lässt den Leser dennoch eine Last verspüren. Die Last, die diese kaputte Welt und die daraus entstehenden Probleme und Konflikte mit sich bringen. Diese Kulisse lässt die Geschichte lebendig und echt wirken. Im ersten Buch wird man sogar angeregt über die Erderwärmung und ihre Folgen nachzudenken, aber auch nicht so viel, dass man sich dazu gedrängt fühlt.

Im ersten Buch hält sich die Autorin nicht zu lange damit auf, alles zu erklären. Sie nimmt sich gerade genug Zeit, um das Buch nicht weglegen zu wollen, sodass schon nach den ersten Seiten Fragen auftauchen: Warum tätowiert Gaia dem Neugeborenen vier Punkte auf den Knöchel? Welchen Zweck verfolgt das Weggeben der Babys? Und was ist der Grund, für die Verhaftung ihrer Eltern? Einiges wird direkt beantwortet. Um die restlichen Antworten zu finden, muss man sich schon gemeinsam mit Gaia auf die Suche danach begeben. So kommen immer weitere schockierende und überraschende Geheimnisse aus der Enklave – die Stadt der Reichen - ans Licht. Dabei ist im ersten Buch nicht mal die Antwort auf die letzte Frage das Überraschendste. Man sucht nach dieser Antwort und wird unerwartet mit einem ganz anderen Detail aus den Socken gehauen.

Im zweiten Buch kommt dieser Moment ein wenig früher. Während Gaia sich einer neuen Regierung unterordnen muss, bringt sie einige Leute wegen ihrer Unwissenheit in große Gefahr. Auf der Spur einer weiteren Erkenntnis, ist man im ersten Augenblick sogar ziemlich sprachlos wegen der Originalität einer Idee. Im nächsten Moment überlegt man sich jedoch, wie das medizinisch gesehen möglich ist, ohne dass es die Menschen merken.  Diese Frage bereitet mir immer noch ziemliches Kopfzerbrechen, aber ich bin keine Medizinerin.

Aber was ist eigentlich mit Gaia? Gaia wächst behütet auf. In einer Scheinwelt. In ihrer Naivität begibt sie sich im ersten Buch auf gefährliches Terrain, ist jedoch sehr entschlossen und lässt sich nicht von ihrem Ziel abbringen, auch wenn alles, woran sie glaubt, falsch war. Sie wächst mit den Gefahren und die sind nicht gerade klein in diesen Romanen. Menschen werden erhängt, gefoltert und in Angst versetzt, damit sie nicht aus der Reihe tanzen. Aber all dieses Leid, scheint Gaia im ersten Buch nur stärker zu machen.

Dafür fällt ihr Charakter im zweiten Buch in ein tiefes Loch. Man ist enttäuscht, warum sie ihre neue Stärke lieber verliert als daran festzuhalten. Sie sollte kämpfen, sich einen Plan überlegen, um schnellstmöglich in die neue Gesellschaft aufgenommen zu werden. Stattdessen grübelt sie lieber wochenlang nach und lässt ihren Willen brechen. Ist sie vielleicht zu unschuldig, um zu lügen? Das kann wohl nur die Autorin beantworten, aber da verliert die Figur ein wenig ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Leser. Man zieht die Augenbraue hoch und fragt sich „Warum so kompliziert, wenn’s einfacher geht?“ Diese Typveränderung erscheint erzwungen, damit die Geschichte so verlaufen kann, wie sie es in diesem Buch tut. Zum Glück findet Gaia am Ende doch noch zu sich selbst zurück.

Eine weitere Sache, die dem Leser nervig und unnötig erscheinen könnte, ist die Vierecksbeziehung. Eine zweite Person, zu der sich Gaia hingezogen fühlt, scheint nicht genug zu sein. Es wird direkt noch ein weiterer Charakter eingebaut. Diese Beziehungen wirken übertrieben und an den Haaren herbeigezogen, um Gaias Liebesleben spannender zu halten, was sie nicht tun. Es gibt nur einen guten Grund, um eine weitere Person einzufügen und das, um die Geschichte in die richtige Richtung zu lenken. Warum noch der dritte Mann in Gaia verliebt sein sollte, ist schleierhaft, denn das beeinflusst nicht den Ablauf der Geschichte.

So großartig die zwei Regime der ersten beiden Bücher aufgebaut sind, so unspektakulär treffen diese beiden im dritten Buch aufeinander. Gaia kehrt zurück in ihre Heimat und damit treffen die Menschen aus Wharfton auf die aus Sylum. Doch leider erkennt man kaum noch etwas von den Regeln und Gewohnheiten aus Sylum. Diese werden nur in ein paar Sätzen nebenbei in die Geschichte reingeschoben. Es gibt kein „Clash of Cultures“, auf das man sich schon seit dem zweiten Buch gefreut hat. In diesem Buch gibt es nur eine Auseinandersetzung zwischen Gaia und der Enklave bzw. ihrem Anführer, dem Protektor.

Und auch hier handelt Gaia schon wieder unüberlegt und naiv. Sie verfällt in alte Muster. Zu allem Übel wird sie dabei nicht nur weinerlich (ach, es ist ja alles ihre Schuld, wie sich die Situation entwickelt), sondern gibt auch selbst zu, dass sie nicht klug gehandelt hat. Während man sich ab und an an den Kopf fasst und sich fragt, was sie denn da schon wieder tue, fängt man irgendwann unwillkürlich an auch die Augen zu verdrehen: „Das hättest du dir auch vorher denken können.“

Alles in allem ist man zwar zufrieden mit dem Ende, auch wenn es hier kein perfektes Happy End gibt - was für einen Dystopieroman völlig berechtigt ist - aber dennoch war man immer mal wieder enttäuscht von Gaias Entwicklung. Das ist aber auch das Einzige, was man im großen Stil kritisieren kann. Die Geschichte, die Ordnungssysteme, die Geheimnisse und die vielen Überraschungen machen die Bücher dennoch sehr lesenswert und spannend. Bis zum Schluss hält man noch den Atem an.

Und für besondere Fans hat Caragh O’Brien sogar besonderes Material zur Verfügung gestellt: Kurze Zwischengeschichten „Tortured“ und „Ruled“. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.

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